Nachbarn sind merkwürdige Geschöpfe; und davon, dass man in einem riesigen Schuhkarton aus Beton mit vielen, vielen Wohnungen lebt, werden sie nicht weniger merkwürdig. In einem Mehrfamilienhaus kennt man sie wenigstens noch, kann sie vielleicht einschätzen. In einem anonymen Hochhaus hingegen fragt man sich bei manchen Geräuschen, die durch die viel zu dünnen Wände dringen, dann doch recht besorgt, mit wem man es eigentlich zu tun hat.
Seit einiger Zeit werde ich jeden Morgen davon geweckt, dass in der Wohnung über mir rumpelt, zuweilen wird auch ein Gerät betätigt, das wie eine riesige Espressomaschine klingt, und bei anderer Gelegenheit hört man etwas zerreißen. Hin und wieder kriegt man auch den Eindruck, dass die Nachbarn gerade ein riesiges Schnitzel mit dem Fleischhammer bearbeiten. Abgesehen von diesem ohnehin schon recht unerquicklichen Lärm lassen sie auch noch permanent schwere, vermutliche metallhaltige Gegenstände fallen, bevorzugt direkt über dem Kopfende meines Bettes.
Eigentlich ist das ja ein klarer Fall: Irgendjemand renoviert mal wieder. Kommt in so einem Hochhaus leider permanent vor. Irgendwie hört es sich aber nicht so an, als würde bloß umgeräumt – es klingt so, als würden die Nachbarn sämtliche Möbel kaputtschlagen und die Teppiche zerreißen. Weil ich nicht annehme, dass über mir ein Hotel aufgemacht hat, in dem ausschließlich Rockstars residieren, habe ich diese Theorie allerdings schnell wieder fallen lassen und nach einer anderen Erklärung gesucht. Zur Erheiterung des Publikums hier die Theorien, die bei meiner Mitbewohnerin und mir momentan am populärsten sind:
1) Die Nachbarn haben zwar kein Hotel, aber ein Hostel eröffnet, in dem fiese Sadisten für teures Geld naive amerikanische Touristen abmetzeln dürfen. Die überdimensionale Espressomaschine ist natürlich in Wirklichkeit ein elektrisches Bratenmesser (die Light-Version einer Kettensäge), welches bevorzugt zum Abtrennen von Fingern verwendet wird. Was man zerreißen hört, sind Kleidungsstücke; die Fleischhammer kommen auf lebendem Fleisch zum Einsatz, und das Rumpeln kommt daher, dass die Opfer wehren und versuchen, mitsamt den Stühlen, an die sie gefesselt sind, zu entkommen. Ich gebe zu, dass diese Theorie ein bisschen von den Gewaltfantasien geprägt ist, die ich mittlerweile meinen Nachbarn gegenüber hege.
2) Es handelt sich um ein soziologisches Experiment, in dem untersucht wird, wie lange es dauert, bis jemand hochgeht um sich über den Lärm zu beschweren. Bewiesen werden soll damit, dass moderne Großstadtbewohner lieber wochenlang Lärm ertragen, als mit ihren unbekannten Nachbarn zu sprechen.
3) Die Verursacher des Lärms haben etwas gegen einen ihrer Nachbarn und sind extra in die Wohnung neben ihm gezogen, um ihn mit dem Lärm in den Wahnsinn zu treiben. Dass darunter auch alle anderen Nachbarn zu leiden haben, nehmen sie in Kauf.
4) Es geht eine Geisteskrankheit um, die durch Lärm übertragen wird. Diese Geisteskrankheit hat reihum einen meiner Nachbarn nach dem anderen erwischt, weswegen seit bestimmt einem Jahr immer irgendwo in diesem Haus jemand klopft, hämmert, bohrt und schleift. Anders lässt es sich nicht erklären, schließlich befinden sich überhaupt nur etwa fünf Wohnungen in diesem Haus in meiner unmittelbaren Hörweite.
Demnächst dann alle Theorien darüber, warum der höfliche Stadtplaner gleich nebenan alle paar Monate eine neue Freundin hat…
*Dieser Titel ist angelehnt an das Projekt „Fuck up die Nachbarschaft“ aus Matias Faldbakkens Cocka Hola Company.