Man spricht ja nicht umsonst von der Qual der Wahl. Das kann damit anfangen, dass man sich eine Stunde vor Schließen der Wahllokale immer noch politisch heimatlos fühlt. Weiter geht es damit, dass man sich fragt, ob einem jetzt unterstellt wird, dass man den Rock wegen der Wahl angezogen hat und nicht wegen des schönen Wetters. Man will sich ja nicht vorkommen wie der naiv unverbitterte Kleinbürger, der sich wichtig genommen fühlt. Womöglich sogar Respekt vor dem Vorgang hat, seinen Stimmzettel in eine gelbe Mülltonne zu werfen. Peinlich.
Dann das Problem, in seine alte Grundschule zu gehen. Flashbacks von Tränen, Angst, zeternden Lehrerinnen und dem wöchentlichen Misserfolg im Handarbeitsunterricht. Unschön. Als nächstes muss man seinen Raum finden. Und dann der Albtraum jedes halbscharigen Sozialphobikers: Ganz allein im Zimmer mit fünf Wahlhelfern. Und dem Tweet, der einem seit fünf Stunden zwanghaft im Kopf klebt: „Ich hab mich grad bei den Wahlhelfern bedankt. Und ihr so?“
Nein, ich bin ein asoziales Miststück. Ich nehme nur verlegen grinsend meine Unterlagen entgegen, verkrieche mich dankbar in der sogenannten Wahlkabine und mache mit schlechtem Gewissen mein Kreuz. Ich reiche den Wahlhelfern meine Benachrichtigung, zucke zusammen, als sie meinen Namen sagen – dürfen die das? Dürfen die wissen, dass ich hier bin? – und lasse bedeutungsschwanger meinen Stimmzettel in die Tonne plumpsen. Glücklicherweise ohne Verheddern und Pannen. Ich verlasse die Schule, von der Zwangsvorstellung gequält, auf meinem Gesicht könnte sich irgendeine Form von selbstzufriedenem Pathos abzeichnen. Dann, pünktlich zur ersten Hochrechnung, kommt mir die Erkenntnis.
Eine Wahl ist eigentlich nur eine Wette, in der es darum geht, ob man die nächsten paar Jahre motzen darf oder selbst schuld ist. Ich hoffe, ich habe richtig gewählt.