Rhetorische Finten in Online-Diskussionen, über die ich mich regelmäßig aufregen muss. Diese Woche: „Ich stell das jetzt einfach mal so in den Raum.“
Typische Post: „Statistisch gesehen gibt es ja in lesbischen Beziehungen mehr Gewalt als in allen anderen. Ich will damit gar nichts Spezielles sagen, ich stell das jetzt einfach mal so in den Raum.“
Nee, is klar! Natürlich meinst du damit überhaupt nichts, und du glaubst auch keineswegs, dass es irgendwas mit dem Thema zu tun hat, über das wir gerade diskutieren! Spammst du Diskussionen immer mit irrelevanten Aussagen zu, oder nur dann, wenn du eine Meinung äußern willst, aber nicht den Mumm hast, dafür geradezustehen?
Ziel dieser Post ist ganz klar, die Meinungen der anderen Diskussionsteilnehmer zu beeinflussen, ohne die eigene Ansicht verteidigen zu müssen. Selbstverständlich zieht der Ersteller dieser Post gewisse Schlussfolgerungen aus seiner Statistik, aber die will er nicht offenlegen. Die anderen sollen selbst darauf kommen, damit er dann immer sagen kann: „Aber ICH habe das nie behauptet!“ Würde man ihn – beispielsweise als lesbische Frau – für seine Andeutungen direkt angreifen, könnte er ohne jede Schwierigkeit auf eine der folgenden Floskeln ausweichen:
- „Das hab ich doch gar nicht gesagt.“
- „Ich hab bloß die Fakten genannt, aber Feministinnen haben ja gerne mal ein Problem mit der Wahrheit.“
- „Das steht nirgendwo in meiner Post. Vielleicht liest du es da ja nur hinein, weil du irgendwo tief drinnen weißt, dass es die Wahrheit ist.“
- „Getroffene Hunde bellen.“
Dieses Muster kann man problemlos auf andere Themen und gesellschaftliche Gruppen übertragen. Es ist immer das gleiche.
Schritt 1: Nenne eine wissenschaftliche Erkenntnis, die geeignet ist, dein liebstes Vorurteil zu untermauern, bzw. deine Abneigung gegen eine bestimmte Gruppe zu rationalisieren.
Schritt 2: Erkläre, dass du als anständiger Mensch daraus überhaupt keine Schlussfolgerungen ziehst, sondern dieses Faktum lediglich aus Liebe zur Wissenschaft gepostet hast.
Schritt 3: Wenn man dich mit den heimlichen Schlussfolgerungen, die du natürlich sehr wohl hegst, konfrontiert, dann wasche deine Hände in Unschuld.
Schritt 4: Suche öffentlich eine Erklärung dafür, warum dein Gegner dir etwas unterstellt, was du doch nie behauptet hast. Idealerweise stellt diese Erklärung den Gegner als dumm, irrational oder hysterisch hin. Ihm Böswilligkeit zu unterstellen, kann als erster Schritt zu drastisch sein und deine Glaubwürdigkeit senken. Ansonsten gilt aber: Je ehrrühriger, desto besser. Wichtig ist, dass du diese Erklärung entweder im väterlich-besorgten Tonfall abgibst, oder dich mit gespielter Verzweiflung fragst, warum manche Menschen einfach nicht lesen können.
Schritt 5: Reagiert dein Gegner darauf mit Zorn, dann hast du gewonnen. Dadurch bestätigt er nämlich deine Behauptung, er sei hysterisch/irrational/unfähig, die Wahrheit zu ertragen. Aber auch, wenn er sich sarkastisch einlässt, dir seine Verachtung kundtut oder dir die Fähigkeit, eine ernsthafte Diskussion zu führen, abspricht, musst du dir keine Sorgen machen. Da die anderen Leser wissen, wie beleidigend deine Bemerkung war, können sie gar nicht anders, als die Reaktion deines Gegners als Wut zu interpretieren. (Ausnahme: Du hast jemanden angegriffen, der in der Forenhierarchie ziemlich hoch steht.)
Im Grunde ermöglicht diese Masche einem, die Meinung anderer Forenleser auf noch viel drastischere Weise zu beeinflussen: Nicht nur sollen sie zu den Schlussfolgerungen kommen, die der Ersteller der Post nicht öffentlich zu äußern wagt; bösartige Andeutungen, deren Bösartigkeit nicht bewiesen werden kann, provozieren auch hilflos-wütende Reaktionen von der angegriffenen Gruppe. Dadurch bestätigt sie zumindest scheinbar das Bild, für das man mit der Statistik/Behauptung in der ursprünglichen Post den Grundstein gelegt hat. Das ist möglicherweise sogar wirksamer als eine bösartige Interpretation der Statistik für sich.
Wenn ich ein Mod wäre, würde ich mal die Probe aufs Exempel machen. Auf jede Post, die mit den Worten „ich stell das einfach nur mal so in den Raum“ endet, würde ich antworten: „Wenn du uns damit gar nichts sagen willst und auch keinen Bezug zur aktuellen Diskussion siehst, dann kann ich das ja als offtopic löschen. Einverstanden?“
Würden ja sehen, wie viele von den In-Den-Raum-Stellern wirklich völlig absichtslos die Statistik des Tages präsentieren wollten, und wie viele plötzlich aufschreien, dass das ein ungeheuerlicher und durch nichts zu rechtfertigender Eingriff in die Meinungsfreiheit sei. Wieso Meinungfreiheit? Ich dachte, ihr meint überhaupt nix…