Nachdem ich in der vergangenen Woche drei mündliche Prüfungen hatte, habe ich mir gestern abend den Luxus gegönnt, mit zwei Freunden in ein Irish Pub zu gehen. Doch schon an der Tafel am Eingang standen die zwei Worte, die jeder friedliche Kneipenbesucher fürchtet wie der Teufel das Weihwasser: Heute Karaoke. Zur Bewältigung meiner Erlebnisse hier eine Kategorisierung des typischen Karaokepublikums:
1) Die Geburtstagsparty
Der große Tisch in der Nische ist für acht Uhr reserviert. Bald trudeln die ersten Gäste ein. Durchschnittliche junge Leute, die sich auf ihrem Lebensweg irgendwo zwischen High School Musical und Mid-twenty Blues befinden. Die Post-Abi-Euphorie ist in vollem Schwung, die meisten sind noch nicht mit ihrem ersten Lebensentwurf gescheitert und wissen nicht, was in den nächsten Jahren an Selbstzweifeln auf sie zukommen wird. Die Welt gehört ihnen.
Es wird Guiness bestellt, ein einzelnes Mädchen wagt sich an einen Cocktail. Kurz darauf folgt die erste Runde Stamperl. Jägermeister. Man trinkt sich Mut an. Nach der nächsten Runde Stamperl, diesmal Baileys, gehen die ersten auf die Bühne. Ein Junge und vier Mädchen, zum Händchenhalten. Langsam kommt die Party in Schwung. Ein weiteres Mal läuft die Kellnerin mit einem Tablett Stamperl Richtung Geburtstagstisch – Erdbeerlimes. Jetzt wagen sich auch Einzelne hervor, den angetrunkenen Mut hört man ihnen an. Bei Wonderwall wird sentimental mitgegröhlt.
Nach zwei Stunden ist der Tisch vergessen, alle stehen vor der Bühne. Die Quälität der Gesangsdarbietungen nimmt sukzessive ab, die Begeisterung hingegen zu. Dann, irgendwann gegen zwei, ist der Spuk vorbei. Man hat sich genug gefeiert. Dabei weiß jedes geübte Karaokeopfer, dass es jetzt erst richtig lustig wird. Der Grund sind:
2) Die betrunkenen Briten
Ganz vorn, ganz nah bei der Bühne, sitzen fünf mittelalte Männer und Frauen. Sie trinken, aber sie trinken unauffällig. Eine melancholische Vierzigjährige summt und nickt leise mit. Die Männer stieren vor sich hin. Dann, irgendwann, ist es halb zwei und jetzt brechen alle Dämme. Die Vierzigjährige torkelt zwischen den Tischen durch und schreit zu Killing Me Softly ihren Schmerz heraus, während ihr fünzigjähriger Freund von hinten seine Genitalien gegen sie presst. Der andere Fünfzigjährige setzt sich zu wildfremden Leuten an den Tisch und versucht, mit einem jungen Mann zu kuscheln. Eine graublonde Frau spielt dagegen DSDS und wir alle sind das Publikum.
3) Die lästernden Snobs
Sie wollten eigentlich gar nicht zum Karaokeabend. Sie wollten sich bloß in Ruhe auf ein Guiness treffen. Zuhören zu müssen, wie völlig betrunkene 21-Jährige Oasis gröhlen, zählt nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Dementsprechend vernichtend fällt ihre Kritik der Darbietungen aus. Der Geburtstagstisch gegenüber ist für sie der blanke Schrecken. Genüßlich malen sie sich aus, wer von diesen unmöglichen Gestalten den Song singen wird, der ihre ganz persönliche Nemesis darstellt, sei es New York, New York, Angels oder Hey Jude. Dann ertönen die ersten Klänge von I will survive, und abrupt werden verzweifelte Rufe nach Schnaps laut. Nur schnell betrunken werden, bevor die traurige Versammlung anfängt, rhythmisch in die Hände zu klatschen und die gesamte weibliche Belegschaft voll Inbrunst Laaaa-lala-la-la…. dazu schreit. Sind die Snobs dann so betrunken, dass sie die Veranstaltung ohne intensive Fremdscham ertragen, fangen sie plötzlich selbst an zu singen, um zu beweisen, dass sie für ihren Snobismus allen Grund haben. Betrunken wie sie sind, sind sie sicher, dass ihnen das gelingt. Die hackedichten Briten bestätigen sie darin.