Theorie des Tages

Monat: Januar, 2013

TAKE IT! – Donnerstag, 31. Januar 2013

Habe ich nicht erst vor (relativ) kurzem die Theorie aufgestellt, dass positives Denken, Lebensweisheiten und die ganze Tschakka-Mentalität davon ausgehen, dass Menschen von Natur aus gut sind und lediglich sozial wünschenswerte Ziele haben? Und habe ich nicht eine düstere Parodie auf diese niedliche Vorstellung verfasst, in der es von Mord und Totschlag nur so wimmelt?

Aber ja. Und nachdem ich einen weiteren Tag mit Fernsehserien verbracht habe, stelle ich fest, dass ich nicht alleine bin. Auch andere Menschen sehen die dunkle Seite der Erfolgsparolen. Eine weitaus gelungenere Parodie als meine ist eindeutig die fünfte Staffel von Dexter. Was der Motivationstrainer mit seinem Motto „Take it!“ wirklich meint, ist zwar sicher sehr spaßíg, aber ob es sozial auch so wünschenswert ist?

Finde es heraus! Gehe in den Laden, NIMM DIR die DVD und schau dir etwas an, was dein Leben verändern wird! JUST DO IT!

Psychohygiene – Mittwoch, 30. Januar 2013

Ich habe den gestrigen Tag in tiefer Verwunderung verbracht. In der Nacht zuvor hatte ich alles getan, was man nicht machen soll, wenn man negative Gefühle irgendeiner Art hat. Ich habe mich betrunken. Still und leise vor mich hingeheult. Einen Blogeintrag darüber verfasst, dass ich sterben will und dass ich die ganze Welt hasse und dass ich am liebsten augenblicklich die Uni abbrechen und allen sagen will, wie scheiße und sinnlos jegliche Art geisteswissenschaftliches Studium und die darauf potentiell folgenden „Karrieren“ (PR? Wirklich?) sind, und dass ich es eigentlich aber nicht besser verdient habe, weil ich ja blöd genug war, ein solches Studium anzufangen und dass ich deswegen auf der Stelle entweder Harakiri begehen oder kellnern gehen werde, weil das wenigstens eine poetischere Art Elend ist als die stille Perspektivlosigkeit des Philosophiestudiums. Penny ist Kellnerin!

Naja, und am nächsten Tag ging es mir wieder gut und ich habe eine Gliederung für meine Magisterarbeit erstellt.

Ich habe mich, wie gesagt, sehr gewundert. Hätte ich nicht eigentlich brav Verantwortung für meine Gefühle übernehmen, das beste aus der Situation machen und aus meinen Irrtümern lernen sollen? Sämtlichen psychologischen Ratgebern zufolge hätte es mir nicht besser gehen dürfen, ganz im Gegenteil!

Nun, heute sah ich die erste Folge der fünften Dexterstaffel. Da (ACHTUNG SPOILER!) bringt Dexter jemanden um, um mit Ritas Tod fertigzuwerden. Und sein Stiefvater Harry findet das auch noch okay, menschlich sozusagen, ist ja ein Ausdruck seiner Gefühle.

Ach so ist das! Es ist menschlich, nicht mit Dingen klarzukommen und deswegen zerstörerische und selbstzerstörerische Handlungen zu begehen! Sie sind eigentlich vollkommen normal und gesund, wesentlich für die Psychohygiene!

Ich wusste es immer, Psychologie wäre auch keine bessere Studienfachwahl gewesen! Offenbar erzählen die in ihren Ratgebern ja eh nur Schmarrn! Was die wollen, ist nicht der Mensch, sondern der Übermensch! Möge der Kelch an mir vorrübergehen, ich trinke eh aus der Flasche!

Theorien über Theorien – Dienstag, 29. Januar 2013

Ich habe im Rahmen meiner Magisterarbeit zu viel mit Theorien zu tun. Da wäre einmal die schnöde Theory of Mind, aber das ist nicht genug, nein, es gibt die Theory Theory of Mind, es gibt aber auch die Simulation Theory of Mind, und dann gibt es noch Big Bang Theory, was ich im Rahmen meiner Prokrastinationsstrategien derzeit viel zu häufig schaue. Weil ich unter diesen Bedingungen unmöglich auch noch eigene Theorien produzieren kann, habe ich beschlossen, Theorie des Tages aufzugeben.

Buzzinga!

Habe ich natürlich nicht. Ich fühle mich heute nur nicht in der Lage, eine eigene Theorie aufzustellen. Dann also bis zur nächsten Staffel, welche morgen startet!

Hals-Nasen-Opfer – Montag, 28. Januar 2013

Heute habe ich meinen Erfahrungsschatz mal wieder erweitert: Ich war zum ersten Mal beim HNO.

Die Praxis befand sich in einem dieser Neubauten, die derzeit an jeder Eisenbahnstrecke in meiner „schönen Stadt“ wie Stahlglaspilze aus dem Boden schießen: Viel Fenster, wenig Rahmen, breite Aufzüge, aber enge Treppenhäuser, nix aus 9/11 gelernt. Diese Art Neubauten scheint Arztpraxen jeglicher Natur magisch anzuziehen, ich kam mir jedenfalls vor wie bei meinem Zahnarzt. Eines Tages schreibe ich darüber auch noch eine Theorie. Vielleicht.

Auch das Innere der Praxis erinnerte mich sehr an das Interieur von Dr. Dent. Nur dass hier, nobel, nobel, sogar ein eigenes Kinderwartezimmer vorhanden war. Hätten die Verantwortlichen eine Tür eingebaut, wären das Gelärm und Geschrei vielleicht auch tatsächlich in jenem unseligen Raum geblieben. Ich für meinen Teil nahm möglichst weit entfernt von der Geräuschquelle Platz, d.h. in einem Gang auf halbem Weg zu den Behandlungsräumen. Als sich mein verstört gesenkter Blick (ungewohnte soziale Situation, Lärm, viele Leute) versehentlich auf die Vitrine mir gegenüber verirrte, wurde die Sache aber erst so richtig unangenehm. Dort zur Schau gestellt waren nämlich allerhand unheimliche Instrumente, die man allenfalls bei Dr. Dexter zu sehen erwartet. Die Schautafel mit Nase und Rachen, die darüber angebracht war, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um HNO-Gerätschaften handelte.

Nun frage ich mich, warum ein Arzt seinen Patienten diesen Anblick zumuten sollte. Wenn er schon, wie ein Folterknecht der Inquisition, dem Opfer seine Waffen vorführt, warum dann nicht im Behandlungszimmer, wenn der Patient bereits hilflos in einem cyborgartigen Stuhl sitzt, so wie Zahnärzte das machen? Will er sich denn gar nicht an den entsetzten Blicken ergötzen?

Naja, ich glaube, dass dieser Schaukasten verschiedene Funktionen erfüllen kann:

1) Manche Patienten gehen vielleicht einfach wieder heim. Dann ist die Praxis nicht so überlaufen und alles geht etwas ruhiger zu.

2) Gehorsam erzwingen. Mütter müssen ihren Kindern nur die Instrumente zeigen, und schon sind sie still. Man sollte sie allerdings darauf hinweisen, von alleine kommen sie nicht auf die Idee. Leider.

3) Stockholm-Syndrom erzeugen, welches zu erhöhter Compliance führt. Der Patient wird erst eingeschüchtert, dann wird der Arzt, welcher beruhigend auf ihn einspricht, zur wichtigen Bezugsperson, der Patient rutscht in kindliche Abhängigkeit und tut brav, was der Arzt ihm sagt. Funktioniert extrem gut. Fragen Sie Dr. Dent.

Hmmm…ich sehe, sehe, sehe meinen Traumjob! Psychologische Kriegsführung in der Arztpraxis! Wie schaffe ich die nötigen Bedingungen für seelische Abhängigkeit, kindliche Gutgläubigkeit und vollkommene Unterwerfung? Ich hätte da so ein paar Ideen….Dr. Müller, your call!

 

 

 

 

OMG the conspiracy! – Sonntag, 27. Januar 2013

Aus dem Pokal fliegen. Gegen Oldham.

Liverpool FC – impossible is nothing.

Ich habe aber selbstverständlich eine Theorie*, wieso uns solche Dinge immer wieder passieren. Es ist John Henry´s Methode, den Klub finanziell zu sanieren. Jedesmal, wenn wir gegen einen Verein spielen, den wir eigentlich locker schlagen müssten, wettet er gegen uns. Dann befiehlt er uns, absichtlich zu verlieren und sahnt mächtig ab. Damit das niemandem auffällt, müssen wir natürlich so tun, als würden wir alles daran setzen, Tore zu schießen. Bloß den Ball tatsächlich ins Tor kriegen, das sollten wir vermeiden. Oh, und darin sind wir GUT…

*Disclaimer: Ach ja, natürlich ist diese Theorie völlig blödsinnig, fiktional und die reinste Erfindung! Ich glaube nie im Leben, dass JH etwas derartiges tun würde und ich möchte auch niemandem nahelegen, das zu glauben!

QED – Samstag, 26. Januar 2013

Und wenn irgendjemandem noch der letzte Beweis gefehlt hat, dass Schnupfen sexy sein kann: Unter meinen Suchanfragen habe ich heute doch tatsächlich das Wort „erkältungsfetisch“ gefunden!

Ob es schon in der Paraphilie-Liste der Wikipedia steht, weiß ich natürlich nicht.

Schlimmer geht immer – Freitag, 25. Januar 2013

Ich habe heute die Theorie, dass schlechte Vorsätze einzuhalten sogar einfacher ist als gar nichts zu verändern.

Der Beleg?

Bitte! Ich bin erst heute morgen um 10 ins Bett gegangen, habe seit Tagen nicht gespült, warte darauf, dass meine Magisterarbeit sich von selbst schreibt –  und meine Theorien werden auch nicht besser.

Die neun Kreise der Philharmoniehölle – Donnerstag, 24. Januar 2013

Es mag ironisch klingen, dass die Hölle von Sphärenklängen durchsetzt ist, aber vielleicht ist das nur konsequent, wenn man berücksichtigt, dass die Autorin von Theorie des Tages überwiegend Indie und Metal hört. Jaaa, und natürlich Eurodance! Die neun Kreise der Philharmoniehölle jedenfalls sehen so aus:

Erster Kreis: Passende Bekleidung

Ich sollte hinzufügen: Im Winter! Schlimm genug, dass man sich, ganz out of character, in irgendetwas halbwegs Elegantes werfen muss, nein, man sollte darin nach Möglichkeit auch nicht frieren! In vielen Fällen führt das zur Notwendigkeit von Nylonstrumpfhosen, welche neben dem Stringtanga vielleicht das unbequemste Stück weiblicher Unterbekleidung der Gegenwart sind. Zumindest das unbequemste, was ich jemals anziehen würde, man sollte niemals die sadistische Energie der Modemacher unterschätzen. Über der eleganten Kleidung muss man einen Mantel tragen, welchen man dann ärgerlicherweise meistens an der Garderobe abgeben muss, was ich selbstverständlich überhaupt nicht gerne tue, da es in der Regel mit zweimaligem Schlangestehen und einem mindestens zweifelhaften, wenn nicht ungerechtfertigten Vertrauen in die Kompetenz und Zuverlässigkeit anderer Menschen verbunden ist. Und dann muss man natürlich hoffen, dass es in der Philharmonie warm genug ist, sodass man in seinen eleganten Sachen ganz ohne Mantel nicht friert, wenn man zwei Stunden stillsitzt.

Zweiter Kreis: Schnell noch mal aufs Klo

Hat man vor Beginn der Veranstaltung noch etwas Zeit, stellt sich einem sofort die Gretchenfrage: Wie hast du´s mit der Blase? Nun, habe ich erwähnt, dass Winter ist? Ob der ganz leichte Harndrang von einer Blasenentzündung kommt, oder ob es schlicht Erwartungshaltung ist, das ist kaum zu unterscheiden. In beiden Fällen führt er dazu, dass man sich doch an die endlose Schlange vorm Klo anstellt. Dringt man bis in den Vorraum vom Damenklo vor, kann man über die Ungerechtigkeit der Welt meditieren: Obwohl man seit Wochen verschnupft ist, kann man dennoch die Nase nicht vor der widerlichen Mischung aus Alte-Damen-Parfum und lauwarmen Fürzen verschließen. In der Kabine muss man sich dann mühsam aus der Strumpfhose pellen, und wenn man sie anschließend wieder anzieht, sitzt sie noch unbequemer. Natürlich muss man sofort wieder, aber jetzt tönt gottlob ein diskreter Gong durch die teppichbezogenen Gänge und ruft alle in den Konzertsaal.

Dritter Kreis: Wir warten aufs Christkind.

Beziehungsweise den Dirigenten. Und während man wartet, kann man noch ein paar Mal aufstehen, weil irgendjemand in irgendeiner Richtung an einem vorbei will. Jedesmal, wenn man sich wieder hinsetzt, verschiebt sich die Strumpfhose und wird noch unbequemer. Sobald man sich daran einigermaßen gewöhnt hat, muss man wieder aufstehen. Die vielen Leute, die noch mal rausgehen, verstärken den psychosomatischen Harndrang: Muss ich nicht doch noch mal? Sollte ich nicht vielleicht sicherheitshalber…? Was, wenn ich während des Konzerts nicht raus-, bzw. danach nicht wieder reinkann? Es wird dadurch, dass man den öden Gesprächen des überwiegend über 50-jährigen Restpublikums ausgesetzt ist, um nichts besser.

Vierter Kreis: Die Spannung steigt.

Die Lichter werden heruntergedimmt, aber nicht so weit, dass man seine Umgebung ernstlich ignorieren könnte, geschweige denn, sich selbst halbwegs unbeobachtet fühlen könnte. Dann bricht irgendwo am anderen Ende des Saals Applaus aus. Pflichtschuldigst klatscht man mit, und irgendwann sieht man ein kleines Männchen im Anzug die Bühne betreten. Also ist der Dirigent endlich eingetroffen. Ich weiß nicht genau, wofür wir eigentlich applaudieren. Bisher hat er nur bewiesen, dass er gradeaus laufen kann. Ich als Dirigent käme mir vor wie in einer Sitcom, nur, dass halt statt Gelächter Applaus ertönt, sobald ich den Raum betrete.

Sonderfolter Nummer Eins: Instrumente stimmen.

Ich habe kein Problem damit, zuzuhören, wie Gitarren gestimmt werden. Ich hasse es auf den Tod, zuzuhören, wie Geigen und Celli gestimmt werden.

Fünfter Kreis: Der dramatische Beginn.

Die Ouvertüre jedes klassischen Stücks wird ganz modern durch nervöses Husten und Papierrascheln eingeleitet. Dann, in einem Moment relativer Stille, sieht man den Dirigenten schwungvoll seinen Stock nach oben reißen und plötzlich tost ein dramatischer Geräuschschwall durch den Saal. Ich bekomme eine ziemlich unangenehme Gänsehaut und denke, dass, ich das vermutlich als Ergriffenheit interpretieren sollte. Bei diesem Gedanken werde ich erstmal von einer Eigenschämattacke überrollt. Nach ein paar Minuten habe ich mich an den Geräuschpegel gewöhnt und irgendwie fängt das künstliche Drama auf der Bühne an, mir lächerlich vorzukommen. Ich meine, wer nimmt denn heute noch Blasinstrumente ernst? Was machen die da, ein Waterloo-Reenactment? Soll ich mir jetzt vorkommen, als würde ich im 18ten Jahrhundert leben? Ja, ich weiß, dass ich mit grässlichem, kommerziellem Electrosound sozialisiert worden bin und mich eigentlich für mein Banausentum schämen sollte, aber was hat diese Art Musik hier bitte mit mir zu tun? Und überhaupt: Wo sind die Drums?!

Sechster Kreis: Es zieht sich.

Spätestens nach dem zweiten Stück klingt alles gleich und man beginnt dem einen Teil entgegenzufiebern, den man kennt. Gleichzeitig ist einem das einigermaßen peinlich, da man sich an die Leute erinnert fühlt, die auf ein Alice Cooper Konzert gehen, die ganze Zeit schweigend dastehen und dann irgendwann „Poisäääääään!“ plärren. Zumindest die Gefahr besteht hier ja nicht, obwohl jeder gesungene Part mich in Versuchung führt, mitzusingen. Ich hasse, hasse, hasse es, passiv Musik zu hören! Was ist eigentlich der Sinn von Musik, wenn man weder mitmachen, noch sich auch nur bewegen darf? Alles, was ich tun darf, ist still dasitzen, kultiviert dreinschauen und gelegentlich klatschen. Ich weiß bald nicht mehr, was mir mehr weh tut: Mein Arsch, meine Gesichtsmuskeln oder meine Hände.

Siebter Kreis: Pause.

Die Pause in einem viel zu langen Konzert ist ein bisschen wie die Halbzeitpause, wenn man 1-0 gegen Man United führt. Man ist froh, dass man sich kurz entspannen kann, aber eigentlich wäre es einem lieber, die Angelegenheit wäre schon vorbei, und in gewisser Hinsicht ist die Pause eine nur eine lästige Verzögerung. Weitere Probleme, die hinzukommen: 1) Muss ich aufs Klo? 2) Ich habe Durst.

Die Schlange am Klo ist selbstverständlich wieder endlos, das Neonlicht gnadenlos wie immer, und der Harndrang nach wie vor imaginär. Wie könnte man auch müssen, wenn  man vollkommen ausgetrocknet von der dünnen, angestaubten Luft im Konzertsaal ist? Man könnte sich selbstverständlich an der langen, langen Getränkeschlange anstellen und für fünf Euro ein Gläschen Orangensaft erstehen (wahlweise auch Sekt, aber der hilft nicht gegen Durst, der ist auch trocken). Stellt sich natürlich die Frage, ob sich das lohnt. Hat es Sinn, die Pause damit zu verbringen, sich in der Schlange die Beine in den Bauch zu stehen, nur, damit es dann gongt, fünf Mitmenschen bevor man dran ist? Für magenverätzenden Orangensaft, von dem man gleich wieder pissen muss? Aber was ist die Alternative: Noch eine, anderthalb Stunden durstig im Saal eingesperrt sein? Soll ich vielleicht einfach fliehen, jetzt, wo ich die Gelegenheit habe? Eine nervenzerfetzende Rechnung, durch die einem gnädigerweise die fortschreitende Zeit irgendwann einen Strich macht. Zurück in den Saal, die Beine hat man sich so oder so in den Bauch gestanden.

Achter Kreis: The end of all hope

Wieder zu sitzen ist für ungefähr fünfzehn Sekunden eine Wohltat, dann beginnt die Phase der Veranstaltung, in der man beim besten Willen keine bequeme Position mehr findet. Natürlich darf man auch nicht zu sehr rumzappeln, wegen der disziplinierteren Sitznachbarn. Man will sich ja keine Blöße geben. Die Hauptbeschäftigung besteht nun darin, auf das Ende zu hoffen. Wahlweise das des Stücks oder mein eigenes. Irgendwann ist es mir nahezu egal.

Ich wache kurz noch mal aus meiner stille Agonie auf, wenn endlich das Stück kommt, wegen dem ich da bin. Eingeleitet wird es wieder von einer unangenehmen Gänsehaut, die schnell der Enttäuschung Platz macht. Die Sänger vernudeln und verknödeln das Stück, verkünsteln sich, es verliert jeden Drive, nur, weil die Rampensau da vorne so berauscht von den eigenen Stimmbändern ist.

Der Rest geht zum Glück etwas schneller, solange, bis man endlich das Grand Finale erreicht. Da hängt sich alles noch mal auf. Immer wieder wiederholt sich dieselbe Melodie, derselbe Part, und das Ganze will einfach nicht enden. Will nicht enden. Will nicht enden. Nach jedem „taaaaTAM taaaTAM taaaTAAAAA“ geht es doch noch mal weiter, mit „DONZ! DITZ!“ oder „TÄÄÄ TÄÄÄÄ“, „TÄÄÄ TÄÄÄ!“ Und dann wieder von vorne. Bis es irgendwann doch vorbei ist. Ich habe überlebt. Es ist vorbei. Ich darf gleich gehen! Vorher wartet aber noch ein richtig fieser Brocken auf uns.

Neunter Kreis: Applaus

Der erste Applaus ist eine Erleichterung. Zwar berührt mich das Geklatsche, das klingt, wie millionenfaches Schmatzen, immer etwas unangenehm, aber immerhin darf ich bald gehen. Dafür applaudiere ich auch gerne. Ihr habt aufgehört! Gut gemacht! Dann allerdings wird der Applaus selbst zur Unendlichkeit.

Erst gibt es einen Generalapplaus. Dann gibt es Applaus für die einzelnen Instrumentengruppen, und dann kommt die Solistin in ihrem Kleidchen auf die Bühne gerauscht und plötzlich donnern tausend Füße auf den Boden. Zeitgleich scheint ein Indianerüberfall stattzufinden, denn von überall her schallt es „Whoooohoooohooohooohooooo…..“ Jetzt würde ich dann gerne im bebenden Boden versinken.

Und dann geht der Applaus in die zweite Runde. Schlimmstenfalls sogar in die dritte, und ich frage mich, ob die Damen und Herren da unten nicht langsam genug haben. Kommen die sich nicht bescheuert vor? Vor allem die Solistin, die so geziert mit ihrem Röckchen wedelt!

Gelegentlich ebbt der Applaus ab, ich denke, wir haben es überstanden, aber dann rennt doch noch so ein Manschkerl auf die Bühne und pflichtschuldigst brandet der Lärm wieder auf, so soziale Wesen sind wir! Was wohl passieren würde, wenn der Dirigent auf die Bühne rennt und niemand klatscht?

Schließlich, dem Himmel sei dank, kommen sie alle gemeinsam auf die Bühne und verbeugen sich Hand in Hand, wie eine altmodische Artistengruppe. Besser. Jetzt haben wir es überstanden – ach, wirklich? Nein! Jetzt kommt Sonderfolter Nummer 2.

Sonderfolter Nummer 2: Blumen

Der Dirigent kriegt Blumen. Die Solistin kriegt Blumen und Bussi-Bussi. Allgemeines Händeschütteln. Toll war´s, wirklich, ja, vielen Dank, es ist ja so großartig, was Sie hier machen! Urgh. Danach ziehen sie zum Glück alle ab mit ihren Blumen, und wir können ebenfalls gehen. Danke!

Natürlich gibt es immer noch ein paar kleine Stolperfallen. Zum Beispiel das Anstehen an der Garderobe. Selbstverständlich ist man auch versucht, nochmal aufs Klo zu gehen. Wer weiß, ob man es nach Hause schafft! Andererseits gibt es immer noch Bahnhofstoiletten. Die sind wenigstens nicht so überlaufen.

Kommt man dann glücklich zuhause an, kann man sich endlich aus den unmöglichen Strumpfhosen schälen. Liegt man dann auf dem Bett, kommt der erste Stolz auf. Na also, ich habe ein echtes, erwachsenes, kultiviertes Konzert überstanden! Ich habe was richtig Wertvolles gemacht heute, nicht nur surfen und bloggen und Fanfiction schreiben! Jetzt kann ich mich ja beruhigt zurücklehnen und Big Brother* schauen!

Zumindest so lange, bis mich jemand fragt: „Und? Wie war´s?“ Das ist die größte Folter von allen.

*Ich möchte hiermit klarstellen, dass ich selbstverständlich Besseres mit meiner Zeit zu tun habe, als Big Brother zu schauen. Sogar depressives An-Die-Decke-Starren gehört dazu.

 

 

 

Das dunkle Geheimnis – Mittwoch, 23. Januar 2013

Heute spielen wir mal wieder das beliebte Spiel: „Zeig mir deinen Keller…“

Neben dem einrichtungstechnisch minderbegabten Junggesellen wohnt eine weitaus ungewöhnlichere Gestalt, zumindest wenn ich von ihrem Kellerabteil ausgehen darf. Dieses ist nämlich leer – bis auf einen kleinen Turm genau in der Mitte, welcher von einer dunklen Plane abgedeckt wird. Wtf-Faktor 99,5.

Was ist das für ein Turm? Könnte es sich um einen Altar handeln? Wohnt in diesem Haus ein fieser, gemeiner Satanist? Muss ich damit rechnen, in meinem Kellerabteil demnächst Überreste von Menschenopfern zu finden? Ist am Ende er für die Schwarze Handwerkerschule in meinem alten Haus verantwortlich, welche mir etliche schlaflose Morgen bescherte? Wenn ja, dann werde ich ihn auf seinem eigenen Altar abschlachten, so viel ist sicher!

Eventuell betet er aber auch nur sich selbst an. Vielleicht handelt es sich ja um einen pathologischen Narzissten. Oder natürlich der Turm ist etwas ganz anderes. Ein geheimer Handymast oder so. Damit wird er allerdings in einem Betonbunker nicht viel Freude haben…

Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat – Dienstag, 22. Januar 2013

Anzeichen für beginnende Vereinsamung:

  • man fängt an, laut mit sich selbst zu reden
  • man hat permanent den Fernseher laufen
  • man geht einkaufen, auch wenn man nichts braucht, damit man mal unter Leute kommt
  • man denkt darüber nach, freiwillig seine Mutter anzurufen