Im Bereich psychischer Krankheiten gibt es ja immer wieder die reizendsten Paradoxa. Vergesst den Kreter, der behauptet, alle Kreter seien Lügner. Heißt stattdessen einen ganz zeitgemäßen Gast willkommen: Den Hypochonder, der panisch Anzeichen dafür sucht, dass er ein Hypochonder sein könnte. Ist das paradox? Ja, das ist paradox.
Es ist doch wirklich eine interessante Frage, ob es noch hypochondrisch ist, wenn ein Hypochonder bei sich nach Anzeichen von Hypochondrie sucht, oder ob es sich schon um Selbsterkenntnis handelt. Könnte das einem Hypochonder überhaupt passieren? Und wenn ja, wie geht es ihm damit?
Meine Theorie ist ja, das sage ich vorweg, dass Hypochonder eigentlich dringend Hypochonder sein wollen müssten. Die Erklärung ist ganz einfach. Zunächst einmal muss man sich nur anschauen, wie sie vermutlich reagieren, wenn in ihnen der Verdacht aufkommt, sie könnten Hypochonder sein: Sie suchen panisch nach Anzeichen dafür, dass sie Hypochonder sind. Dabei geraten sie in eine ziemlich absurde Gedankenspirale, in der Logik keine Chance mehr hat:
1. Ja, es ist wahr. Ich habe Angst vor Krankheiten.
2. Also bin ich Hypochonder.
Das kann sich zunächst einmal wie eine sehr beruhigende Nachricht anfühlen. Denn:
3. Wenn ich Hypochonder bin, dann bin ich nicht ernsthaft krank.
Leider bleibt es nicht dabei. Stattdessen verknäulen sich die Gedanken zu einem uralten Aberglauben:
4. Meine Angst vor Krankheiten beschützt mich also davor, wirklich krank zu sein.
Und die unvermeidliche Schlussfolgerung, welche die Krankheit noch ewig aufrechterhalten kann:
5. Ich darf nie aufhören, Angst zu haben, sonst passiert alles, wovor ich Angst habe.
Wir sehen – eigentlich wissen Hypochonder bereits, dass sie Hypochonder sind. Sie haben nur Angst, damit aufzuhören, weil sie sonst wirklich krank werden könnten. Sie wissen ja: Solange sie Hypochonder sind, sind sie nicht wirklich krank – per definitionem. Ihr Denkfehler besteht natürlich darin, dass sie eine medizinische Definition (Hypochonder als Menschen, die fürchten, krank zu sein, obwohl sie es nicht sind) in einen magischen Prozess umdeuten, der sie vor allem, was sie fürchten, schützt.
Ein tragischer Irrtum. Hypochonder zu sein und die Krankheit zu haben, vor der man sich fürchtet, schließt sich zwar aus – aber leider eben nur per definitionem. Man kann die Krankheit durchaus trotzdem bekommen. Und dass die Ärzte dann die Diagnose „Hypochondrie“ aus den Akten streichen, bedeutet noch nicht mal, dass man jetzt wenigstens von seiner Angst geheilt wäre. Man hat lediglich begründete Angst. Per definitionem. Für normales Elend ist aber leider niemand zuständig, damit muss man allein fertigwerden, und wer kann das schon? Nein, das wäre es doch erheblich besser, ein Neurotiker zu sein.